Stephen Hendry sucht im Comeback die Herausforderung (2024)

Der siebenfache Snooker-Weltmeister Stephen Hendry sucht im Comeback die ultimative Herausforderung. Doch was kann er noch leisten?

Bertram Job

4 min

Stephen Hendry sucht im Comeback die Herausforderung (1)

Eines zumindest erscheint sicher an dieser merkwürdigen Geschichte: Um Geld geht es nicht. Stephen Gordon Hendry hat als Billard-Profi zwischen 1985 und 2012 insgesamt 8,75 Millionen englische Pfund an Prämien gewonnen – verdienter Lohn für eine Überlegenheit, die es
an der Weltspitze des Snooker-Sports so ausgeprägt danach nie mehr gegeben hat. Dazu kommen beträchtliche Einnahmen aus jahrelanger Tätigkeit als Co-Kommentator der BBC, seiner Rolle als Markenbotschafter eines Pokerraums im Internet und dergleichen mehr. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, weit mehr als ein waschechter Schotte je ausgeben könnte oder wollte.

Ein Jahr der Dominanz

Trotzdem hat sich das «Golden Bairn» (Goldene Kind) aus den Lower Midlands dazu entschieden, mit nunmehr 52 Jahren wieder am Wettbewerb auf höchster Stufe teilzunehmen. Zum September letzten Jahres akzeptierte Hendry eine Wildcard, die ihm für die nächsten zwei Saisons die Teilnahme an der globalen Prestigeserie der Main Tour ermöglicht.

Und kommenden Dienstagabend um Punkt acht ist es tatsächlich so weit. Dann kehrt die Legende mit dem graumelierten Bart an den riesigen, mit glattem Tuch bespannten Spieltisch zurück, der bis vor neun Jahren seine gesamte Welt war. Acht Jahre ununterbrochen an der Spitze der Weltrangliste, sieben WM-Titel zwischen 1990 und 1999: Da hat ein begnadeter Youngster in seiner unterkühlten Art ein komplettes Jahrzehnt beherrscht.

«Es könnte doch Spass machen, für ein paar Überraschungen zu sorgen», hat der Rückkehrer seinen Schritt vor Monaten begründet – als sei das eventuell nur ein kurzer, unbedeutender Abstecher in die eigene Vergangenheit. Zu dem Zeitpunkt war das Selbstbewusstsein nach der Halbfinal-Teilnahme bei einer Art Senioren-WM und einigen vielversprechenden Übungsstunden mit dem in der Szene bekannten Coach Stephen Feeney ziemlich weit oben. Parallel hatte Barry Hearn, der allmächtige Promoter und Verbandschef der World Snooker Tour (WST), noch einen obendrauf gesetzt, als er dem «Giganten» zum Comeback grosses Kino trotz Corona versprach: «Alle Augen werden auf ihn gerichtet sein.»

Nicht lange darauf gestalteten sich die Dinge dann doch etwas komplizierter. Im Januar liess Hendry den avisierten Termin zum Einstieg in den laufenden Wettbewerb bewusst verstreichen. Er wolle schliesslich «nicht mich selbst enttäuschen», deutete er Zweifel am Niveau seines Spiels an.

Im Februar war es wiederum ein technisches Problem, das ihn ausbremste: Seine Meldung zu den Welsh Open in Newport wurde vom elektronischen System der WST offenbar nicht erfasst, wie er auf Twitter bedauerte. Kein Zugang zu der Elite, in der er einst die Überfigur war: Das hatte, wenn man es so sehen wollte, schon etwas Symbolhaftes.

Nun dürfen Fans und Fachleute munter spekulieren, wie gut einer noch sein (oder werden) kann, der vor dreissig Jahren seinen ersten WM-Titel gewann. Stefan Edberg, der im gleichen Jahr in Wimbledon siegte, käme heute garantiert nicht mehr durch die Qualifikation für ein Grand-Slam-Turnier im Tennis. Evander Holyfield, der damals James Buster Douglas ausboxte, würde nirgendwo mehr Champion. Und Nick Faldo, einer von Hendrys erklärten Sporthelden, schaffte am Masters der besten Golfer in Augusta nicht mehr den Cut.

Einst ein kühner Stratege

Im Snooker dagegen herrscht auffallend wenig Konsens, wann die Uhr abgelaufen ist. Hier überstehen an Turnieren Oldtimer wie der Londoner Jimmy White (58) oder der Ire Ken Doherty (51) oft genug ein, zwei Runden, um sich weiter auf der Main Tour zu halten. Nicht zu reden vom Phänomen Ronnie O’Sullivan, der mit 45 Jahren auf Platz 2 der Weltrangliste steht.

In diesem Sinne lässt sich Hendrys Kampagne als aufschlussreiches Feldexperiment ansehen, bei dem niemand allzu viel riskiert. Hearn und die WST sind um keine Idee verlegen, die ihren unter strengen Hygieneregeln abgehaltenen Turnieren zusätzliche Aufmerksamkeit beschert. Ausserdem ist der Abdruck Hendrys in der Historie des anspruchsvollen Sports längst zu gross, um noch zerstört werden zu können. Er hat nicht nur 78 Turniere gewonnen und zahlreiche, zum Teil noch heute gültige Rekorde aufgestellt. Sondern es auch verstanden, den Sport taktisch zu erneuern. Einige seiner kühnen Strategien sind inzwischen State of the Art.

Was also kann dem Mitglied im Order of the British Empire passieren, wenn er fast neun Jahre nach der krassen Niederlage im Viertelfinal der WM 2012 gegen Stephen Maguire (2:13) nun gegen den 35-jährigen Matthew Selt, die Nummer 25 im Ranking, antritt?

Er selbst hat berichtet, dass ihm im Training immer wieder gute Dinge gelängen. Nur wisse er nicht, ob er das auch im Match bereits umsetzen könne. Schon deshalb sei er auf jedes Ergebnis vorbereitet. Auf längere Sicht dürfte es dem ausgeprägten Wettkampftypen Hendry allerdings kaum ausreichen, nur so ein bisschen mitzumischen. So sagt sein Coach Feeney: «Wenn er spürt, dass er auf der höchsten Ebene mitspielen kann, wird er wahrscheinlich spüren, dass er auf oberster Ebene auch gewinnen kann.»

Das Niveau ist gestiegen

An diesem Punkt ist sein Klient einstweilen noch nicht – und manche der heutigen Top Dogs im Snooker bezweifeln, dass er dort je wieder hinkommen wird. «Als Stephen sich zurückzog, begann das Niveau bereits noch weiter zu steigen», gab sich Judd Trump, aktuell die klare Nummer 1 der Rangliste, im Interview mit der «Sun» überzeugt. «Und das hat ihm damals zu schaffen gemacht.» Darum wäre er überrascht, wenn Hendry viele gute Ergebnisse erzielen könnte. Ähnlich riet O’Sullivan dem einstigen Erzrivalen fast schon therapeutisch, zunächst nicht allzu viel von sich zu erwarten.

Doch ein Erfolg hat sich jetzt schon eingestellt. Während es vor Jahren noch Tage gab, an denen er manchmal nicht gewusst habe, worauf er sich freuen solle, spürt Stephen Hendry nach eigener Aussage nun wieder «das Kribbeln». Es gibt ihm das Gefühl, wirklich am Leben zu sein, und das ist mit Geld nicht zu bezahlen.

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Hanspeter Künzler

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